Sommersemester 2010
Universität Osnabrück
Die Musik des Fin de Siecle
Seminar
Montags 14.15 – 15.45, Ort: 91/E18
Termine: 12. April – 5. Juli 2010
Die Musik des Fin de siècle, also der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, ist gleichermaßen von einem kaum überschaubaren Stilpluralismus wie von einer intensiven, teils affirmativen, teils kritischen Auseinandersetzung mit der Tradition geprägt. In den Jahren um 1900 erlebt die Romantik ein bemerkenswertes Revival und wird zugleich mit der Sprengung aller ästhetischen Konventionen experimentiert, wird die Überwindung der erstarrten bürgerlichen Normen künstlerisch vermittelt. Gerade innerhalb des musikalischen Ausdrucks sind die Erschütterungen und Umwälzungen der kompositorischen Tradition zwischen einer konservativen Revolution und einem kompromisslosen Fortschrittsdenken angesiedelt. Die Tonkunst der Jahrhundertwende verbindet jedoch nicht allein diese vielleicht singuläre Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, sondern auch ein außerordentlich produktives Wechselverhältnis. Die Epoche ist geprägt von zahlreichen Einflussnahmen und auch Kooperationen zwischen namhaften Komponisten und Schriftstellern.
Anhand exemplarischer Künstler und Werke werden die Umwälzungen in der Musik und im Falle der Oper die Beziehungen zwischen Literatur und Musik des Fin de siècle erörtert. Ausgangspunkt ist eine Betrachtung der Wurzeln dieser Epoche, die im 19. Jahrhundert liegen, der Darstellung von stilistischen und musikspezifischen Entwicklungen, die den Boden für die verschiedensten Umwälzungen in der Musik bereiteten. Als Bindeglied zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert ist die Musik Gustav Mahlers zu sehen, dessen symphonische Sprache unter den Gesichtspunkten der Romantik-Renaissance und der Verbindung heterogener Elementen wie die des Trivialen und Artifiziellen behandelt wird. Auf dem Gebiet der Oper steht mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss die einzigartige Zusammenarbeit zwischen einem Literaten und einem Komponisten im Vordergrund, während die kompositorische Entwicklung Arnold Schönbergs – dem »Vater der Neuen Musik« – von der musikalischen Radikalität dieser Zeit Zeugnis ablegt. Die geistige Beziehung zwischen dem Publizisten Karl Kraus und dem Komponisten Alban Berg bildet die Grundlage für die Darstellung seines kompositorischen Schaffens, einer Mischung aus höchster Strenge und überbordender Romantik bis hin zur abschliessenden Betrachtung des Einflusses von Kraus auf Bergs Stoffwahl und Librettobearbeitung für seine Oper »Lulu« und deren charakteristischen dramaturgischen und kompositorischen Merkmale.
Daneben gab es eine ganze Reihe von Komponisten, die – angesiedelt zwischen Tradition und Fortschritt – heute nur noch wenig bekannt sind. Vordringlich ist in diesem Zusammenhang die Musik Alexander von Zemlinskys zu sehen, der auch als Pädagoge, Förderer und Dirigent im Wien der Jahrhundertwende zu allen Komponisten eine freundschaftliche Beziehung unterhielt. In seiner Musik spiegeln sich die Tendenzen der Zeit, die er mit seinem eigenen genz persönlichen Idiom zu verschmelzen wußte: seine Tonsprache ist geprägt von der Reaktion auf Neues und der musikalischen Vermittlung von einander fremden Strömungen. Dies lässt sich auch in den Werken von Franz Schreker und Erich Wolfgang Korngold feststellen; bei beiden Komponisten stand das Opernschaffen im Mittelpunkt, ihre musikalische Sprache schöpft aus einer schwelgerischen Klangopulenz, die sich den neuen Tönen keineswegs verschließt. Stilistisch und musikalisch standen ihre Werke ebenbürtig neben denen von Richard Strauss, dessen vermeintlicher musikalischer Traditionalismus nach dem »Rosenkavalier« von einem neuen stilistischen Pluralismus zeugt. Nicht nur literarische Einflüsse sondern auch die Beziehungen zwischen Malerei, Farbe und Musik führten zu synästhetischen Gesamtkunstwerken abstrakter wie hypertropher Art; die Werke von Josef Matthias Hauer und Alexander Scriabin legen hierfür ein höchst unterschiedliches Zeugnis ab (Dieser Vorlesungsteil wird in Abhängikeit von der zur Verfügung stehenden Zeit behandelt). Mit der Musik von Anton Webern, die weit über ihre Zeit hinausweist, wird die zutiefst traditionsgebundene musikalische Radikalität an die Grenze des Verstummens geführt.
Literatur:
Jens Malte Fischer, Jahrhundertdämmerung. Ansichten eines anderen Fin de siècle, Wien 2000
Jürg Stenzl (Hrsg.), Art nouveau. Jugendstil und Musik, Zürich 1980